Dienstag, 24. Januar 2012

Texte in der Welt (2)

Auch der zweite nun folgende Text ist in der 4. Ausgabe der Kalliope veröffentlicht worden. Ebenso an Hölderlin angelehnt (mein Tübinger Fensterblick - über das nordwestliche Tal - ist fantastisch!) findet sich hier eine Ode im 3. asklepiadeischen Odenmaß. Ohne gleich eine Poetiklektion zu halten, komme ich gleich zum Ende des Einführungstextes. Erfreulicherweise lässt sich hier, gerade in der Erfüllung, mehr Wahres finden als bei vielen der ebenso eher abstrakten Texte aus meiner Hand. Bitte schön:


Frühlingstraum

Klagend schweifet mein Blick wieder hinaus zu dir,
Ewig Liebende, ach! Sehnenden Herzens Schmerz
Gänzlich auskostend find’ ich
All die Wunder, die prächt’gen, dort!


Leise rauschet der Bach, Heimat des lust’gen Fisch’s,
Leben spendende Quell’ aller der Tiere auch,
Zwischen Steinen und Gräsern
Durch das Tal hin zum Horizont;


Sachte säuselt er dort. Noch wirkt der Frühling hier:
Bienen sammeln den, ach, köstlichen Nektar auf,
Summend, springen von Blum’ zu
Blume, duften sie doch wie nie,


Glanzvoll schmückend das Tal. Tausende Farben strahl’n
Herrlich dort mir zum Gruß! Sänk’ ich nur tief ins Feld,
Ewig würde ich schlafen,
Friedlich träumend im Blütenmeer.


Doch nicht einzig ist dies! Siehst du denn nicht den Wald?
Dicht bekleidet er jetzt alle die Berge dort,
Schutz der grünenden Auen,
Majestätischer Bäume Hort.


Stetig ziehen von ihm singende Vögel, frei
Fliegend über das Tal, weit in das Land hinaus,
Um ihr eigenstes Lied in
Alle Winkel der Welt zu streu’n.


Ach, so hole doch mich, Mutter Natur, zu dir,
Weiß beflügelt, und birg in deinem Schoße mich,
Ewig liebende Göttin,
Eh das Schicksal uns trennen mag!

Texte in der Welt (1)


Der folgende Text ist schon etwas älter. Etwa im Juni 2008 entstanden, ist er seit 2009 in der Welt unterwegs, zugänglich geworden durch die inzwischen vergriffene Ausgabe 4 der Kalliope. Zeitschrift für Literatur und Kunst. des Bonner Bernstein-Verlages.
Entstanden ist er an zwei hölderlingeprägten Abenden, an denen ich mich etwas in den Hyperion vertiefte. Hier und da merkt man es wohl am Stil. Der Text sollte aber für sich selbst sprechen, also bitte:


Brief an den Freund
Mein lieber Freund!
Lange ließ ich Dich warten auf eine Nachricht von mir, denn lang bin ich fort gewesen, fern der Menschen Gefilde, deren Küste ich rein und unscheinbar hinter mir ließ. Doch die Erinnerung, die treibende, zog mich zurück! Vieles ist seitdem geschehen, und schwer nur vermag ich’s in Worte zu fassen. Sei unbesorgt, mein Lieber, ob meines Gemüts. In großer Trauer ist’s oft ein kleiner Funke, der dem Geiste wieder Hoffnung gibt. Ich bitt’ dich, sei es, gib mir Halt!
Wie nur verließ ich Dich und Sie, die Geliebte? Zart brachen die Wellen an schützenden Riffen, die Sie sich baute als Schmuck, glänzend im wohligen Schein der Sonne, der goldenen, die Leben schenkte der finsteren Welt. Und Strände, strahlend weiß wie die Federn der Seevögel und ebenso unschuldig rein, erstreckten sich längst des azurblauen Meeres, tänzelnd im güldenen Schein der Sonne von Welle zu Welle und zitternd und springend unentwegt. Glänzend tiefer Einklang entstand da zwischen Beiden, Himmel und Meer. Und wer es sah, der tat es ihnen gleich.
Ach, und was verbarg nun die seichte Küste, geliebte Heimat! Endlos ergoss sich das Grün in die Weite, streckten sich all Deine Kinder, die Vielbezweigten, den Äther empor, wallende Täler und Berge bekleidend! Wie dufteten all Deine Gärten - heilig waren sie mir, die strahlenden Weiden - , angefüllt mit Blumen aller Art, umschwirrt von lieblichstem Getier und Blütenstaub, den der Wind, der heilende, aufgewirbelt, der die leichtfert’ge Seele mühlos hinwegträgt ins endlose Land, fernab der Dinge, der Welt! Wie hab ich ihn lieb gewonnen, den kühlenden, schmeichelnden Hauch der ewigen Mutter! Friedlich erstreckt’ sich das Leben in Dir, Heilige, tänzelt das All zwischen sich, alles sich gleichend und ungleich zugleich. Es trägt der Wind hinfort das sterbende Blatt, fern seiner Heimat, und dort wo es fällt ergreift es der Wandel und bald darauf schöpft es sich neu, immerwährend sich wechselnd. Ach, so warst Du mir stets eine neue Vertraute, Gleiches mit Gleichem aufwiegend, stetig zerteilend und immer ein liebender Hort meiner Seel’.
Du zeigtest Dich friedlich, lebend und fließend, und tobtest und strittest doch innerlich zu gleichen Teilen. Stürmisch ruhte der Wandel in Dir, hier und da sich zeigend, und feurig und flammend verzehrtest Du alles von Dauer und schufest es neu.
So trat denn Dein Bote, der kühle Wind, innerlich brennend zu mir, und fegte hinfort mit lächelndem Blick den träumenden Geist, aus Dir und in Dich, gänzlich wandelnd das Sein. So entsagte ich Allem und Nichts, wurde Eins und Vieles und fand wieder zurück zur lieblichen Heimat, zu Dir!
Und ach, wie ist mir nun, da ich an Dich herantrete, den Blick sehnsuchtsvoll in Deine Richtung gelenkt! Groß ist der Schmerz, dich geschändet am Boden zu sehen! Grausam zugerichtet bist Du, ich weiß nicht wann und wie es in meinem, unserem Taumeln geschah! Überall ragen Gebilde hervor, steinern und eisernen Blicks, und all Deine Kinder, die Vielbezweigten, streben als Rauch aus den Schlünden der gierigen Schluchten dem Äther entgegen! Vernarbt und zerfurcht ist Dein Antlitz, in tiefe Falten geschlagen. Dicke stählerne Fäden zeigt es, und wieder und wieder fahren lange Nadeln unermüdlich den leblosen Körper entlang, auf und ab sich wiegend, alte und neue Wunden reißen sie auf und schließen die Bahnen aufs Neue. 
Sag, was ist mit Deiner Küste, der strahlenden, geschehen? Nirgends ein Zeichen der Reinheit, des heiligen Glanzes, versagt der Genuss der Sonne, die verdeckt hinter graugeschwängerten Wolken schläft. Geblendet und fahl liegt sie da, die Küste, vom Himmel entzweit, unheimlich die neu gewachsenen knöchernen Finger hinaus in die schwarze See gestreckt, fahrig und unbestimmt, doch drohend dem greisen Gotte am Grund, dem Erdenerschütterer. Wild peitschen die Wellen dagegen, brandet die dunkle Gewalt gegen künstliche Klippen, ein letztes Aufbegehren, und doch treiben kleine Flecken darauf, als vermögen sie dem Strome noch lange standzuhalten.
Nur hie und da ein weißes Zucken, der Flügelschlag der letzten kleinen Geister. Lachend zieht ein Schwan am Himmel vorbei, verschwindet am Horizont.
Wo ist nur Dein Ruf, der mir vorher das Herz und den Geist erfüllte? Das innere Feuer ist längst schon erloschen, kalt ist es und bist Du, tausende Tode gestorben, einen für jeden Schlag des grausamen Hammers, der durch Menschenhand auf Dich hernieder fiel wie die Blitze des alternden Gottes im Berge, doch ungleich zorniger und ohne Erbarmen. Reglos liegst Du da, sterbend gestorben, und nur auf Dir dröhnt und tobt es noch, doch anders als vorher, oberflächlich und leer. Du bist nass, es hat geregnet, oder vielleicht sind es auch nur die letzten Tränen, die fielen, deinem leisen Abschiede zum Geleit.
Rau und kalt fegt der stumme Wind um mich herum, peitscht mir die salzige See ins rußgeschwärzte Gesicht. Irgendwo erschallt ein dünnes, kindliches und doch grausiges Gelächter.
Waren es meine Tränen, die sanft als Leichentuch Dein eh’mals stolzes Angesicht bedeckten?
Wo ist das Leben, wo die Geselligkeit in diesem Sumpf aus Stein, Stahl und Mensch?
Mit einem Finger fange ich eine Träne auf, die mir über das Kinn rinnt, koste sie und gebe den Rest davon Dir, streiche ihn sanft mit der Hand über Dich, denn zwischen dem Asphalt entdecke ich einen Rest von Dir, wo einst die schönsten Blumen wuchsen und jetzt das Unkraut grässlich sprießt, und wende mich ab, eingehüllt in Erinnerungen, um auf die Suche zu gehen, nach Dir und Mir selbst, unbeschmutzt und rein.
Und so finde ich Dich vielleicht in mir, oder Du mich in Dir, denn Alles ist schließlich Eins, weitab des toten Körpers, der da liegt, der Schändung preisgegeben, unwissend um höheres Gut, oder was meinst Du, Geliebte?